Der neue Vorstand der Tafel Dietzenbach mit (von links): Heiner Hasecke, Martina Lauermann,
Rolf Mattil, Doris Tomlinson, Tine Hofmann, Christel Germer, Liane Krämer, Iris Grab, Willi Lengler und Angelika Kwoka. Foto: p

Dietzenbach – Die Nachwirkungen der Pandemie, Ukrainekrieg und steigende Inflation: Immer mehr Menschen brauchen Hilfe, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Schon vor diesen Krisen hatte die Dietzenbacher Tafel alle
Hände voll zu tun, bedürftige Menschen bei der Versorgung mit Lebensmitteln zu unterstützen. Wir haben bei der Tafel-Vorsitzenden Christel Germer nachgefragt, mit welchen Herausforderungen sie aktuell zu kämpfen hat, und was jeder Einzelne zur Unterstützung der Tafel beitragen kann.

Frau Germer, überall steigen die Preise, besonders bei den Lebensmitteln. Wie merken Sie das bei der Tafel in Dietzenbach?

Nach den akuten Preissteigerungen kamen mehr Kunden, sodass auch wir einen Aufnahmestopp verhängen mussten. Unsere äußerste Kapazität ist 200 Bedarfsgemeinschaften pro Woche, was in Dietzenbach circa 900 bis 1000 Personen bedeutet. Das ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Letzte Woche mussten wir beispielsweise Neubewerber ablehnen. Manche werden sehr ausfällig, womit die freiwilligen Helfer dann auch noch umgehen müssen.

Im vergangenen Jahr sind wieder mehr flüchtende Menschen nach Deutschland gekommen, besonders aus der Ukraine. Kommen auch mehr Geflüchtete zu ihnen?

Auch da haben wir einen Anstieg von über 50 Prozent. Es sind nicht nur Ukrainer, sondern auch Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Mittlerweile kommen wir auch mit der Sprache gut zurecht. Wir haben Kunden, die beim Übersetzen helfen.

Kann die Tafel einen weiteren Anstieg an Bedürftigen noch bewältigen oder
stößt sie bald an ihre Grenzen?

Nein, einen weiteren Anstieg können wir nicht gut bewältigen, weil wir nicht ausreichend Ware bekommen. Hier sind auch die Marktleiter gefragt. Wir holen zweimal die Woche ab und sortieren und verpacken. Das heißt: Die Märkte müssten uns Ware zur Seite stellen. Die Märkte möchten aber lieber eine Abholung jeden Tag, damit sie ihre Lager räumen können und möglichst wenig Personalkosten haben. Das können wir aber mit unseren ehrenamtlichen Helfern nicht leisten. Wir haben schon 70 Helfer, die abwechselnd arbeiten. Sie bekommen keinerlei Aufwandsentschädigung und machen alles freiwillig. Wenn uns jemand hilft, kann er trotzdem keine Ware bekommen. Die Helfer dürfen nur etwaige Reste mitnehmen, die keiner von den Kunden will.

Bessere Lagersysteme, sparsamere Bestellungen: Supermärkte werfen immer weniger Lebensmittel weg. Ist das ein Problem für die Tafeln?

Natürlich sind die Supermärkte durch die Digitalisierung besser organisiert, können zeitnah bestellen, geben vor dem Verfallsdatum günstiger ab und haben somit weniger Waren für die Tafeln. Aber das ist ja eine Forderung, die an die Supermarktketten immer gestellt wurde. Weniger Lebensmittel vernichten. Gleichzeitig ist das ja auch der ursprüngliche Tafel-Gedanke. Daraus ist die Verteilung an Bedürftige erst entstanden.

Immer wieder hört man von Konflikten bei der Verteilung von Lebensmitteln zwischen der Tafel und lokalen Foodsharing-Initiativen. Wie ist da die Situation in Dietzenbach?

Da sehe ich auch einen großen Konflikt. Denn die Tafeln sind gehalten, die Waren mit Kühlfahrzeugen abzuholen, was große Kosten verursacht. Sie prüfen die Bedürftigkeit der Abholer, was einen ziemlichen bürokratischen Aufwand bedeutet. Und Sie nehmen beispielsweise nicht alles verdorbene Gemüse mit, wodurch bei den Märkten Kosten für die Entsorgung von Lebensmitteln verbleiben. Die Foodsharer nehmen immer alles, stellen es in irgendwelche Häuser und entsorgen irgendwo. Hausbesitzer und Hausverwaltungen beschweren sich bei uns, warum wir diese Ware nicht über die Tafel verteilen. Das würden wir ja, aber: Wir bekommen sie nicht. Die Mitarbeiter in den Märkten entscheiden, wem sie was geben. Die Marktleiter haben hier die Entscheidungsgewalt. Außerdem gibt es bei dem Personal in den Märkten ständig Wechsel.

Was können Leserinnen und Leser tun, um die Arbeit der Tafel zu unterstützen?

Die Tafel funktioniert aus Kostengründen nur mit ehrenamtlichen Helfern. Die Bedingungen für diese Helfer müssten sich aber verbessern. Je mehr wir sind, desto seltener wird jemand eingesetzt und kann daher auch diese Zeit eher erübrigen. Die Prüfung der Bedürftigkeit muss bleiben, damit die Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten bleibt. Wir sehen uns oft dem Vorwurf ausgesetzt, Menschen zu unterstützen, die es gar nicht benötigen. Denn wie gesagt sehe ich es auch so: Foodsharer sollten immer nachrangig bedient werden. Zuerst die Tafeln und dann sie.

Wie könnte man also konkret helfen?

Am besten helfen können Leserinnen und Leser, wenn sie der Tafel etwas von ihrer Freizeit kostenlos zur Verfügung stellen, also mit anpacken. Wir benötigen Helfer zum Sortieren der Waren und auch im Fahrdienst. Aber auch Geldspenden sind immer herzlich willkommen.

Was sind besondere Herausforderungen, vor denen die Tafel in Dietzenbach
steht?

Das nächste Thema, das wir angehen müssen, ist die Raumfrage. Denn bisher hat die katholische Pfarrgemeinde die Tafel mit ihren Räumen unterstützt. Nach dem Verkauf des Hildegardis-Hauses wird es aber zunehmend schwierig, weil man die Räume für die Gemeindearbeit selbst benötigt. Wegen der Sanierung der Kita Talstraße wird noch für die Bauzeit von zwei Jahren eine Lösung für die Hortkinder gesucht. Die Pfadfinder brauchen Platz, die Kolpingfamilie, die Kommunionskinder. Das heißt, wir werden irgendeine Raumlösung zum Sortieren und Ausgabe der Waren gemeinsam mit der Kirchengemeinde erarbeiten müssen.

Wie schauen Sie als Tafel in die Zukunft?

Mit eher sorgenvollem Blick. Wir befürchten, dass auch wegen der steigenden Energiekosten die Altersarmut zunimmt, und wenn es der Wirtschaft schlechter gehen sollte, der Krieg anhält, die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme nicht abnimmt und die Arbeitslosigkeit steigt, wird man immer solche Organisationen wie die Tafel benötigen.

Das Gespräch führte
Philipp Bräuner

Info: Hierbei handelt es sich um ein reupload, der originale Bericht stammt von der OP Online und ist vom 27.06.2023